Zusammenfassung:
Der Weg in die Ausbildung für junge Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung weist besondere Barrieren und Hürden auf (vgl. BIBB 2022). Perspektiven der Betroffenen insbesondere im ländlichen Raum wurden jedoch bisher kaum in den Blick genommen (Stein/Scherak/Lindau-Bank 2018; Söhn/Marquardsen 2017: 35). Mit dieser Arbeit wird dieses Desiderat aufgegriffen, indem junge Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung im ländlichen Raum nach ihren Erfahrungen, Wünschen und Erwartungen in ihren Übergängen von der Schule in den Beruf befragt wurden. Mit dem Fokus auf die Bildungs(un)gerechtigkeit wurde somit ihre subjektive Sicht auf Berufswahl und Ausbildung sowie deren lebensweltliche Einbettung analysiert. Zudem wurden Barrieren für Bildung und Inklusion identifiziert und der Umgang der befragten Auszubildenden mit ihnen untersucht. Insofern wurden auch persönliche und institutionelle Ressourcen betrachtet. Dabei wurde ein innovatives Forschungsdesign gewählt, bei dem die Betroffenen nicht nur Daten für die Forschung bereitstellen, sondern ihrerseits durch ein Mentoring von Studierenden in ihrer Alltagsbewältigung unterstützt wurden. Die isolierte Betrachtung der Betroffenenperspektiven könnte ein verengtes Containerdenken erzeugen (vgl. Treibel 2009: 138), sodass zusätzlich Sichtweisen der weiteren Akteur*innen an und in der Ausbildung und Berufsorientierung, wie Ausbildungsbetrieben, Lehrkräften und Sozialpädagog*innen, einfließen.
Beitrag 1 beruht auf einer Studie, bei der Eltern mit syrischem Fluchthintergrund nach ihren Erwartungen an das deutsche Schulsystem befragt wurden. Der Beitrag gibt erste Hinweise auf die Diskrepanz der Bildungsaspiration zur strukturellen Benachteiligung zugewanderter Kinder im Bildungssystem, die im Projekt weiter untersucht wurden. In Beitrag 2 wird das Forschungsdesign vorgestellt. Dabei werden Voraussetzungen für die gelungene Einbindung von Studierenden in das Dissertationsprojekt hochschuldidaktisch betrachtet. Studierende konnten ihre Einstellungen hinsichtlich eigener Vorannahmen und Vorurteile zum Abschluss des Moduls kritischer und reflektierter hinterfragen. Neben ersten Projektergebnissen aus den Interviews mit Auszubildenden mit Flucht- und Migrationserfahrung werden in den Beiträgen 3 und 4 die Vernetzung in der Region und der wechselseitige Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis dargestellt, sodass Forschung, Lehre und Third Mission gemeinsam als One Mission stattfanden.
In den Beiträgen 5, 6 und 7 werden die Ergebnisse der Interviews mit Auszubildenden mit Flucht- und Migrationserfahrung hinsichtlich des Gerechtigkeitsdiskurses von Inklusion und Nachhaltigkeit sowie demokratischer Grundprinzipien bezogen auf die Berufswahl analysiert.
Dazu wird das Capability-Set sowie ein Modell, das die Berufswahlprozesse mit den Zukunftswünschen der befragten Auszubildenden verbindet, entwickelt.
In Beitrag 8 und 9 stehen die berufsbildenden Schulen im Fokus. Beitrag 8 fokussiert auf die sozialen Beziehungen der befragten Auszubildenden zu ihren autochthonen Mitschüler*innen, die sich eher als Hilfebeziehungen und lose Kontakte gestalten; intensivere Freundschaften entstehen eher zu anderen Zugewanderten. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte sich nur dann, wenn Unterstützung und Hilfe auf Gegenseitigkeit beruhte. Beitrag 9 zeigt die Barrieren der Auszubildenden in der Berufsschule auf. Unterstützungsmaßnahmen seitens der Agentur für Arbeit sind integrativ gestaltet, fehlende Nachteilsausgleiche in den Prüfungsordnungen wirken exkludierend und sind damit Ausdruck eines institutionellen Rassismus in der dualen Berufs(schul)ausbildung.
Beitrag 10 gibt einen Überblick zu quantitativen Studien und – daraus resultierend – zu dem Zusammenwirken von Dynamiken der Pandemie und Digitalität in der Berufsorientierung und Berufsausbildung von Jugendlichen mit Flucht- und Migrationserfahrung. An diese Befunde schließen Beitrag 11, 12 und 13 an und befassen sich mit Inklusion und Exklusion hinsichtlich digitaler Medien. Beitrag 11 zeigt auf, wie unterschiedlich virtuelle Angebote aus den Perspektiven von Sozialpädagog*innen und Klient*innen der Sozialen Arbeit bewertet werden. Beitrag 12 fokussiert auf den Prozess der Berufsorientierung. Im Beitrag wird die Brückenfunktion von (Sozial-)Pädagog*innen zur digitalen Lebens- und Medienwelt deutlich und potenzielle Fehlerquellen mit Bezug zu den Projektergebnissen dargestellt, die in Beitrag 13 mit Bezug auf die Linien der digitalen Kluft vertieft betrachtet wird.
Durch die differenzierte Auswertung des komplexen empirischen Materials werden die Hintergründe zu den Benachteiligungsszenarien transparent(er). Gemeinsam mit der Diskussion der unterschiedlichen Perspektiven aus der Makroperspektive interdependenter, sich gegenseitig verstärkender sozialer Transformationsprozesse in diesem Rahmenpapier bereichert das Dissertationsprojekt den Diskurs um die Bildungs(un)gerechtigkeit in der Berufsorientierung und beruflichen Bildung junger Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung. Insbesondere werden einer einseitigen Perspektive von Arbeitsmarktintegration empirisch fundierte Erkenntnisse entgegengesetzt, die die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung zu inklusiver Berufsorientierung und Berufsbildung aufzeigen.